Als Software-Entwicklerin stand Martine Herpers oft vor der Frage: Warum sind wir nicht mehr Frauen? Mit Quality and Gender ist es ihre Mission, Unternehmen in Genderfragen zu beraten und weibliche Potenziale in allen Prozessen zu nutzen. Wir wollten von ihr wissen, wie Diversity Management funktioniert, was sich in der Arbeitswelt ändern muss und welche Erkenntnisse sie auf ihrem Weg gewonnen hat.
Der Begriff „Diversity“ kommt aus der Wissenschaft. Er bedeutet alles, was man unter Ungleichheit fassen kann, und hat mehrere Dimensionen – zum Beispiel eine ethnische, eine religiöse und so weiter. Gender ist eine davon, die Frauen und Männer als eine Dimension von Vielfalt begreift. Diese Definition, also Vielfalt statt Ungleichheit, gefällt mir auch viel besser: Gender Diversity als Gegensatz zur Einfalt oder Monotonie.
Genau. In der Arbeitswelt geht es vor allem darum, dass die Talente von Frauen und von Männern genutzt werden. In Deutschland ist es ja noch immer so, dass viele Frauen nicht oder nur in Teilzeit berufstätig sind. Das hat zwar oft gute Gründe, aber dennoch gibt es da einen grossen Talente-Pool, der noch nicht erobert wurde. Wir sind eine schrumpfende Gesellschaft und der Arbeitsmarkt findet immer weniger gute Leute. Daher ist es wichtig, dass diese gut ausgebildeten Frauen – und Frauen waren noch nie so gut ausgebildet wie heute – den Firmen auch zur Verfügung stehen.
Vielen Studien zufolge haben diverse Teams mehr und bessere Ideen, weil verschiedene, vielfältige Sichtweisen aufeinandertreffen. Die Kreativität steigt durch Diversity. Und nicht zuletzt werden natürlich die Kunden besser reflektiert. Die Bedürfnisse von männlichen und weiblichen Kunden können Sie am besten decken, indem Ihr Vermarktungs- und Vertriebsteam Ihre Kundschaft repräsentiert.
Der Ansatz bei Quality and Gender ist, dokumentierte Arbeitsprozesse zu betrachten, zu analysieren und zu bewerten, um zu sehen, wie das Unternehmen mit Gender Diversity erfolgreicher werden kann. Qualität bedeutet, einen Erfolg unabhängig von einzelnen Personen wiederholen zu können. Auch werden Brüche in den Prozessen erst sichtbar, wenn sie dokumentiert sind.
Genau. Man meint vielleicht, das Bauchgefühl hat geholfen, aber dahinter steckt meistens Erfahrung. Daraus lernt man: In dieser Frage brauchen wir jemanden, der auf dem Gebiet wirklich erfahren ist. Ich bin ja eigentlich Informatikerin und komme aus der Software-Entwicklung, und ich weiss, dass man vieles klarer sieht, wenn man es erst einmal aufgeschrieben hat.
Mir ist aufgefallen, dass ein Schritt explizit lauten müsste: Daran arbeiten Frauen und Männer. Wenn man die Arbeitsprozesse aufgeschrieben hat, kann man gut auf Genderaspekte achten.
Am Beispiel Personalmanagement sieht das so aus: Bei einer Stellenausschreibung braucht man Anforderungen an die Position, worüber am besten die jeweilige Fachabteilung entscheidet. Dann braucht man einen Experten oder eine Expertin für das Verfassen der Ausschreibung. An all diesen Stellen kann man fragen: Brauche ich hier Männer und Frauen und ihre jeweiligen Stärken? Gerade bei Einstellungsprozessen zeigt sich immer wieder, dass Männer und Frauen ganz andere Sichtweisen auf das Verhalten einer Bewerberin haben und daher gemischte Gremien notwendig sind. Wenn eine Bewerberin zum Beispiel viel lächelt, wird sie schnell als inkompetent wahrgenommen. Da braucht es in der Bewertung jemanden – egal, ob Mann oder Frau – der etwas von Gender versteht und weiss, dass Frauen mit Mimik anders kommunizieren als Männer und das über Führungsqualität wenig aussagt.
So könnte man einen Führungsstil nennen, bei dem eher weiblich assoziierte Eigenschaften eingesetzt werden. Das ist aber eben nur ein Stil, und den können sich Männer ebenfalls aneignen und damit erfolgreich sein – man denke an Barack Obama. Gerade das Lächeln, das mit weiblichem Stil konnotiert ist, ist ja kommunikativ ein Vorteil: Es zeigt, dass man offen ist, und das hilft auch in den Führungsetagen. Frauen, die den so genannten männlichen Führungsstil praktizieren, der eher auf Distanz aufbaut, tun sich damit keinen Gefallen. Das entspricht nicht mehr der modernen Arbeitswelt. Natürlich muss man Entscheidungen treffen und Vorgaben machen, aber insgesamt wird Teamorientierung viel stärker.
Ja. Ich lehne es ab, einfach nur Frauen zu beraten. Natürlich müssen auch Frauen manche Verhaltensweisen ändern, aber ich kann ja nicht einfach zu 50 Prozent der Menschheit sagen: Wie ihr das macht, ist es falsch! Ich glaube, dass sich die Arbeitswelt anpassen muss. Denn dort ist man ja darauf angewiesen, Talente zu nutzen, Kreativität in den Betrieb zu holen und Kunden marktgerecht zu bedienen. Die Unternehmen haben sehr viel davon, wenn sie sich an die Verhaltensweisen und Bedürfnisse von Frauen anpassen.
Häufig wird so diskutiert, als ob Frauen immer durch Kinder an der Karriere gehindert würden. Dabei ist die Mutterschaft nur ein kurzer Zeitraum innerhalb des Lebens einer Frau. Bei zwei Kindern sprechen wir vielleicht von fünf bis zehn Jahren, in denen man als Frau weniger arbeiten möchte, danach legt man wieder los. Hier müssen wir viel mehr in Lebensphasen denken. Und nach einer Kinder-Phase den Neustart ermöglichen – etwas, das übrigens schon viele Firmen, die das erkannt haben, erfolgreich anbieten.
Während man arbeitet, verliert man doch auch an Aktualität! Man erlebt zwar, was im Unternehmen passiert, verpasst aber, aber wie sich die Technik draussen entwickelt. Es gibt sehr viele Pseudo-Argumente, warum Frauen keine Karriere machen, und diesen ist man erst gewachsen, wenn man sich lange mit Gendertheorie befasst. Diese gezielte Beratung von Frauen, wie sie Karriere machen können, funktioniert in meinen Augen nicht – da muss sich schon das Umfeld ändern.
Coaching und das persönlichen Gespräch können natürlich helfen, wenn ich erfahre, welche Fähigkeiten ich habe und wie ich diese für meine Karriere nutzen kann. Das Unternehmen wiederum muss sich ansehen: Netzwerken gewinnt für den Firmenerfolg an Bedeutung. Wenn eine arbeitende Mutter nach ihrer regulären Arbeitszeit nicht mehr auf Netzwerktreffen geht, weil sie ein Kind zuhause hat, dann sollte sie das Treffen in der Arbeitszeit wahrnehmen können. Und Informationen, für die man ansonsten abends noch auf ein Geschäftsessen gehen muss, kann ich doch auch während der Dienstzeit verbreiten.
Häufig bleibt Frauen der Aufstieg verwehrt, weil das Unternehmen fürchtet, dass sie wegen der Kindererziehung nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Allerdings: Wer im Hamsterrad der Arbeit läuft, wird irgendwann auch blind gegenüber neuen Ansätzen oder dem, was das Team braucht. Eine Auszeit tut manchmal einfach gut.
Frauen, die sie sich nehmen, sollten trotzdem ihre Netzwerke pflegen, weil es im Management notwendig ist, dass sich andere schnell an mich wenden können und das wissen. In jedem Fall sollten Frauen, die in Führung gehen wollen, das selbstbewusst tun – sie bringen von Haus aus mehr Eigenschaften mit, die sie dafür qualifizieren. Vor allem die Fähigkeit der Frauen zu Teamarbeit, die Bereitschaft zuzuhören, zu argumentieren, kooperativ zu führen und nicht einfach nur zu sagen, wo es langgeht, sind wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge sehr zielführend in der Führungsetage.
Quoten sind nur ein Hilfsmittel, aber ein gutes. Man muss diesem „Gleich und gleich gesellt sich gern“ entgegenwirken, und da hilft es wirklich sehr, zu zählen. Quoten sind ja nichts anderes als sich zu anzusehen, ob der Anteil an Frauen und Männern, die in meinem Betrieb in Führung sind, mit meiner Belegschaft übereinstimmt. Wenn trotz 80 Prozent weiblicher Mitarbeiterinnen 80 Prozent Männer in der Führung sitzen, wie befördern wir dann eigentlich? Gesetzte Ziele, die das ändern sollen, sind Quoten.
Das mit der Eignung ist sehr schwer zu beurteilen. Auch Personen in einem Assessment Center haben verschiedene Stereotype im Kopf, und tatsächlich werden immer noch eher männliche Eigenschaften ausgewählt, wenn es um Führung geht. Frauen, die sich durchaus durchsetzen können, aber einen anderen Führungsstil praktizieren, werden häufig übersehen oder allein deshalb ausgeschlossen, weil sie irgendwann ein Kind bekommen könnten.
Dabei hat ein Drittel der akademisch gebildeten Frauen gar keine Kinder, und auch die kommen in Führungsetagen nicht an. Das zeigt, dass es Quoten braucht, um diese Vorurteile zu nivellieren. In Bereichen, in denen einfach weniger Frauen tätig sind, bietet sich ein Stufenmodell an. Wenn also zum Beispiel 10 Prozent der Frauen Informatik studieren, dann möchte ich auch 10 Prozent Software-Entwicklerinnen im Unternehmen beschäftigen, und ich möchte 10 Prozent in der Führung haben.
Mein wichtigster Schritt war tatsächlich, mich auf ein Studium einzulassen, von dem ich wenig wusste. Als ich mit Informatik begonnen habe, war es ganz neu – man wusste nur, es hat mit Mathe zu tun, Mathe hat mir damals Spass gemacht, und man bekommt immer einen Arbeitsplatz! (lacht) Ich fand das gesamte Studium faszinierend. Ganz wichtig ist es, flexibel zu bleiben und Gelegenheiten zu ergreifen, wenn sie sich auftun. Es nutzt einem nichts, starr einen Plan zu verfolgen. Wenn man neugierig ist und neue Chancen ergreift, kommt man eigentlich immer gut weiter.
Bleibt beim eigenen Fach! Wir sollten uns nicht zu sehr auf „Soft Skills“ stürzen, auch wenn wir Frauen uns dort wohl fühlen – das ist zwar auch wichtig, aber im Endeffekt bringt es nur etwas, bei seinem Fachwissen zu bleiben, sich weiterzubilden und dort Kompetenz zu zeigen. Ausserdem habe ich gelernt, dass man Hilfe annehmen darf. Einmal wurde ich durch Kontakt in einem Netzwerk gefragt, ob ich eine Teamleitung übernehmen möchte, und ich habe fast komplett spontan Ja gesagt. Da sollte man sich nicht zu viel hinterfragen, und dazu neigen noch einige Frauen. Dabei ist es nur ein kleiner Schritt, sich zu sagen: „Ach, Quatsch, ich kann das!"
Mich inspiriert es, etwas nicht zu verstehen – zum Beispiel, warum so wenige Frauen in der Technik sind. Jedes Mal, wenn ich das sehe, wundere ich mich. Das ist doch so etwas Kreatives! Und durch die Entwicklung, etwa im Bereich der Usability, kann man auch so viel für die Menschheit tun. Das weckt mich immer wieder auf und zeigt mir, es gibt noch etwas zu tun. Ausserdem bin ich sehr neugierig und finde es klasse, Neues auszuprobieren. Alles, was Standard wird, interessiert mich dann nicht mehr.